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Gewalt in der thailändischen
Politik
Lehren aus dem Ereignis vom 6. Oktober 1976
Dokumentation des Vortrages von
Prof. Dr. Thongchai Winichakul anläßlich der Zweiten
Thailändischen Kulturveranstaltung in Münster am10.
November 2001
Eigentlich bildet dieser Ort nicht den geeigneten
Rahmen, um über dieses Thema zu sprechen, und ich bin
auch nicht immer in der Verfassung, darüber sprechen
zu können. Dieses Lied "Ihr seid das Opfer",
welches wir soeben dargeboten bekamen, habe ich schon seit
zwanzig Jahren nicht mehr gehört.
Am 14. Oktober 2001 hat der Ministerpräsident anläßlich
der Enthüllung des Denkmals zu Ehren der Opfer des 14.
Oktober [1976] in seiner Rede die Meinung vertreten, daß
über die vergangenen Ereignisse nicht länger gesprochen
werden sollte. Vielmehr sollte man sich den gegenwärtigen
Problemen und den Menschen zuwenden, die von Armut betroffen
sind und nicht nur diejenigen Personen im Blick haben, die
damals sterben mußten oder verletzt worden sind.
In den vergangenen 25 Jahren bemühten sich die Machthaber
in Thailand immer wieder darum, ein Ende des Diskurses über
die beiden Vorgänge in den siebziger Jahren herbeizuführen,
stets mit dem Vorwand, man sollte keine Haarspalterei betreiben.
Die Mehrheit der Thai stimmt diesen Forderungen insgeheim
zu. Sie ist der Meinung, daß diese Tragödien, insbesondere
die vom 6. Oktober, allmählich und unspektakulär
aus dem Bewußtsein der ganzen Nation verschwinden sollte.
Wer über die Ereignisse gelesen oder die Videos soeben
gesehen hat, wird verstehen, daß diese Ereignisse ein
komplexes Thema darstellen. Es ist schwierig, die Geschehnisse
von damals einfach zu vergessen oder zu verdrängen. Einige
meiner Freunde, die heute zum Teil in Ministerien tätig
sind, bringen in ihren Veröffentlichungen zum Ausdruck,
daß sie die Ereignisse aber weder vergessen können
noch sich daran erinnern möchten.
Ich werde hier eine Zusammenfassung der Ereignisse geben,
ohne dabei zu sehr in die Details zu gehen. Danach wird es
Gelegenheit geben, für diejenigen, die an den Einzelheiten
interessiert sind, genauer nachzufragen. Am Ende steht meine
ganz persönliche Meinung über das Geschehen und
darüber, was es für die thailändische Gesellschaft
bedeutet, welche Lehren man daraus ziehen kann.
Was passierte am 6. Oktober 1976? Das Militär als Instrument
des Staates befürchtete einen linken Aufstand durch Studenten,
welcher die Institution des Staates, sprich Nation, Religion
und Monarchie gefährden könnte. Das Militär
versuchte, durch Medienkampagnen die breite Bevölkerung
davon zu überzeugen, daß es sich bei den Studenten
um Feinde der Nation, oder, wie es im damaligen Jargon hieß,
um Dämonen handelte. Damit zeigte sich das Militär
in der Lage, Teile der Bevölkerung zu unmenschlichem
Handeln zu mobilisieren. Ich bezeichne dies als Staatskriminalität,
zumal nicht nur die staatlichen Machtorgane wie Armee und
Polizei eingebunden wurden, sondern auch Paramilitärs
und Teile der Bevölkerung. Darüber hinaus Mächte
und Einflüsse, die außerhalb des Staates stehen.
Eine wichtige Komponente des Konfliktes waren die drei Diktatoren
Thanom [Kittikachorn], Prabhas [Charusathian] und Narong [Kittikachorn],
welche in den Folgen des Ereignisses vom 14. Oktober 1973
des Landes verwiesen worden waren. Seitdem spaltete ein Konflikt
die Gesellschaft, vor allem die Studierenden und die Machthaber,
über die Rückkehr von Thanom nach Thailand. Dann
geschah etwas Unglaubliches, die Studierenden wurden durch
eine Inszenierung beschuldigt, die Majestät des Kronprinzen
zu beleidigen. Das sollte der Beweis für das Vorhaben
der Studenten sein, die drei Säulen des Staates zu erschüttern.
In der Nacht vom 5. zum 6. Oktober umstellten Polizisten den
Campus der Thammasat-Universität und machten Gebrauch
von ihren Schußwaffen. Dieses für mich unverständliche,
unbegreiflich harte Vorgehen, führte dazu, daß
die Menschen, die an diesem Tag ihr Leben opferten, auf unzivilisierte
Weise sterben mußten. Die Bilder zeigten Opfer, die
hinausgezerrt, erschlagen, erhängt oder aufgeschlitzt,
deren Körper zusätzlich mit Stühlen traktiert
oder ihr Mund mit Schuhen gestopft worden waren. Eine oder
zwei Frauen wurden mitten auf dem Sanam Luang (dem großen
Feld vor dem Königspalast) in Bangkok entkleidet. Was
weiter mit ihnen geschah, weiß ich nicht, sie wurden
jedoch nicht wieder gesehen. Vier Personen wurden, nachdem
sie bewußtlos waren, aufeinandergestapelt, mit Autoreifen
bedeckt und angezündet. Ein Freund, der zuletzt noch
die Leute aus dem Gebäude heraustrieb, um sicherzustellen,
daß niemand zurückblieb, wenn die Soldaten das
Gelände erstürmten, schaffte es selbst nicht mehr,
rechtzeitig zu fliehen. Er bekam ein Tuch um den Hals gebunden
und wurde zu Boden gezerrt und geschleift. Die genannten Fälle
mögen als Beispiele für die unmenschliche Grausamkeit
genügen.
Anschließend wurden drei- bis viertausend Studenten
verhaftet. Angeblich, weil er fliehen wollte, wurde ein Student
hinterrücks erschossen. Ich selbst trat in dieser Nacht
an das Mikrofon und sprach anfangs Durchhalteparolen und rief
zum Sturz der Diktatoren auf. Gegen Morgen allerdings versuchte
ich, auf die Polizisten einzureden und sie von der Gewalt
abzuhalten. Dann wurde ich verhaftet, später vor Gericht
gestellt und zwei Jahre lang inhaftiert.
Offiziellen Angaben nach hat es am 6. Oktober 1976 46 Tote
gegeben, eine Zahl, die relativ niedrig erscheint im Vergleich
zu den Opfern von 1973 oder auch später, 1992. Aber die
Art und Weise, wie die Leute umgebracht wurden, war um ein
vielfaches brutaler und hinterließ in den Herzen vieler
eine Wunde, die bis jetzt immer noch nicht geheilt ist. Dazu
gezählt werden müssen fünftausend weitere Opfer,
die, die selbst verletzt wurden, und die Angehörigen
der Toten, Verhaftete und Angeklagte, Menschen, die ihre Positionen
verloren haben wie Professor Dr. Puey Ungphakorn, der seinen
Posten als Rektor der Thammasat-Universität aufgeben
und fliehen mußte, bei seiner Flucht von der Polizei
aufgegriffen und ins Gesicht geschlagen wurde. Fast die gesamte
Generation, die bei diesen Ereignissen dabei war, kann das
Geschehen nicht vergessen. Dennoch ist eine Stille eingetreten,
die die Ereignisse unaufgearbeitet hinterließ.
Zwanzig Jahre später werden diejenigen, die versuchen,
an das Ereignis zu erinnern, verdammt, beschimpft und aufgefordert,
die thailändische Gesellschaft nicht zu spalten.
Solange die thailändische Gesellschaft nicht darüber
zu diskutieren vermag, wie es zu diesen Geschehnissen kommen
konnte, kann sie auch nicht verhindern, daß so etwas
wieder passiert. Denn die thailändische Gesellschaft
ist genau so wenig wie andere Gesellschaften vor extremen
Taten sicher. Und man darf nicht glauben, daß sie durch
und durch eine friedliche Gesellschaft ist, wie man es immer
wieder suggeriert und den Kindern in Schulbüchern beibringen
möchte. Zwanzig Jahre lang wurden diejenigen, die den
Ereignissen entfliehen konnten, alleine gelassen mit ihren
Erinnerungen. Wie Professor Puey sind sie alleine gelassen
mit den schlechten Erfahrungen. Sie sind geschädigt und
nicht mehr in der Lage, darüber zu reden, diese Ereignisse
zu reflektieren. Und wie es bei Professor Puey der Fall war,
nehmen sie diesen Schaden mit in den Tod. Mehrere Tausend
Studenten fühlen sich wie Sieger, die man anschließend
hinterrücks überfiel. Sie haben Angst, daß
sie mit ihren Erfahrungen nicht akzeptiert werden und sehen
sich gezwungen, diese tiefsitzenden Erfahrungen, die die Hälfte
ihres Lebens ausmachen, zu verdrängen. Versuchen sie
sich einmal vorzustellen, sie müßten eine Hälfte
ihres Lebens verdrängen. Die Mütter und Väter
derer, die bei den Ereignissen dabei waren, wollen nicht darüber
reden, wollen nicht als deren Eltern erkannt und verurteilt
werden. Die dadurch entstandene Verletzung ist nicht geheilt,
die thailändische Gesellschaft ist nicht in der Lage,
sie zu heilen, weil sie vergessen machen möchte.
Nach zwanzig Jahren wurde zum ersten Mal 1996 verstärkt
über die Vorfälle des 6. Oktober gesprochen, wenngleich
auch nicht über alle erschütternden Einzelheiten.
Die Grundaussage des Diskurses von 1996 ist, daß es
keine Rolle mehr spielt, ob die Gruppen kommunistisch waren
oder nicht, der Staat hatte dennoch nicht das Recht zu töten.
Der [heutige] thailändische Premierminister sagte in
seiner Rede, daß man nun an einem Punkt angekommen sei,
die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen. Der 14. Oktober
[1973] stelle einen Sieg dar über Diktatur und Tyrannei,
doch am 6. Oktober [1976] hätten alle verloren. Somit
faßte er beide Oktober-Ereignisse zusammen, um nun die
Forderung zu erheben, jetzt darüber zu schweigen.
Jetzt kommen wir zu dem, was diese Ereignisse über die
Gesellschaft reflektieren. Erstens: Die radikale Forderung,
man solle die Sache auf sich beruhen lassen, zeigt, daß
die thailändische Gesellschaft nicht in der Lage ist,
mit Konflikten umzugehen. Es gibt in der thailändischen
Gesellschaft keine Erfahrung, keine Bewegung, keine Bedingung,
keine Kultur, wie man damit umgehen kann. Es werden zu viele
Hoffnungen auf den König gesetzt. Aber er kann nicht
immer helfen. Er konnte auch nicht im Falle des 6. Oktobers
helfen. Und man sollte sich darüber im Klaren sein, daß
er nicht ewig da sein wird, um dem thailändischen Volk
aus Krisen heraus zu helfen.
Zweitens: Radikalität ist immer schon ein Bestandteil
der thailändischen Gesellschaft gewesen, aber es wurde
nie darüber gesprochen, in den Schulbüchern steht
nichts darüber. Ständig wird dem Volk eingeredet,
daß Thailand eine friedliebende und konfliktfreie Nation
sei.
In Thailand hat es schon immer Machtkämpfe gegeben, wo
es um Interessen und Einfluß ging. In dieser Hinsicht
unterscheidet sich Thailand nicht von anderen Nationen. Die
Führung benutzt ihre Macht, um das Volk zu bestrafen
und zu tyrannisieren, auch dies wie andere Länder auch.
Es gibt noch viele andere Vorfälle und Ereignisse, wo
noch mehr geschrieben wird, als über den 6. Oktober.
Es gibt zwei Fälle von Morden an Studentenführer,
Führer von Farmer- und Arbeiterbewegungen, von 50-60
Personen, deren Aufklärung bis heute noch nicht geschehen
ist, wo die Verantwortlichen bis heute nicht zu Rechenschaft
gezogen wurden. Es gibt ein weiteres Ereignis im Juli 1974,
ein Verkehrsvorfall in Bangkok, wo es zu einem Streit zwischen
einem Polizisten und einem Taxifahrer kam.
Dieser Streit führte zu einem Progrom an 70 Personen
chinesischer Abstammung in Yaowarat und Phlapphlachai. Es
hieß offiziell, die Polizei habe eine Razzia gegen eine
Verbrecher-Organisation unternommen, doch bisher ist nicht
geklärt, was dabei wirklich geschehen ist. Selbst unter
den Studierenden, die die Gewalt des Staates kritisch beobachten,
haben sich nicht mehr weiter mit diesem Vorfall befaßt.
Dabei ist dieses Ereignis keineswegs ein Geheimnis, jeder,
der die Archive der Zeitungen durchsieht, wird die Berichte
darüber finden.
Es gibt noch andere Formen der Gewalt innerhalb der thailändischen
Gesellschaft, die teilweise den Strukturen inhärent sind.
Dabei geht es in den meisten Fällen um Unterschiede an
Macht, an Einfluß oder Vermögen, Bewohnern der
Ebene und den Bergvölkern, auch zwischen Einheimischen
und Zuwanderern.
Es ist in der thailändischen Gesellschaft oft üblich,
absolut mit so einem Konflikt umzugehen. Das heißt,
knallhart durchzugreifen. Als Beispiel dafür lese ich
aus einem Text vor: Die Mehrheit der thailändischen Bevölkerung
bewundert heute noch den früheren Premier und Diktator
Sarit Thanarat (1958-1963), weil dieser für sein hartes
Durchgreifen bekannt war. Es war bei der Polizei üblich,
Lynchjustiz auszuüben, daß kriminelle Vergehen
nicht zur gerichtlichen Aufklärung und Verurteilung gelangten,
sondern die Polizei selbst als Vollstrecker agierte. Viele
in der thailändischen Bevölkerung befürworten
dieses Vorgehen. Vor nicht allzu langer Zeit (Januar 2000)
machte eine Krankenhausbesetzung durch birmanische Rebellen
vom Stamm der Karen in der Provinz Ratchaburi Schlagzeilen.
Nachdem die Polizei das Krankenhaus gestürmt hatte, wurden
nur die Leichen der [getöteten] Rebellen präsentiert.
Eine Chance auf eine Aufklärung durch die Gerichte gab
es nicht.
Es war gut, daß manche gegen dieses Vorgehen protestierten,
doch leider zeigte sich die Mehrheit der Thailänder mit
dem Vorgehen der Polizei einverstanden. Es handelte sich doch
um Menschen aus Birma, also um Ausländer, die den thailändischen
Staat unter Druck setzen wollten.
Es gibt noch zwei weitere Beispiele. Eines davon geht um das
Verhalten des Sohnes [des thailändischen Politikers]
Chaloem Yubamrung, der in Schlägereien verwickelt war.
In einem thailändischen Webboard wurde die Meinung vertreten,
daß man den einfach umlegen sollte. Das zeigt, wie diese
Gewalt in den Köpfen der Leute steckt. Daß in der
thailändischen Gesellschaft Macht populär ist, ist
eine alte Geschichte. Dennoch wird leicht übersehen,
daß das alte Prinzip amnat, das "Macht" bedeutet,
gleichgesetzt wird mit Gerechtigkeit, dem dharma. Wer Macht
hat, verfüge auch über das Recht.
Trotz der Tatsache, daß sich die thailändische
Gesellschaft im Laufe der Zeit gewandelt hat, bestehen diese
Bezüge weiterhin. Das Konzept amnat wird mit dem dharma,
dem Guten, dem Gerechten, verknüpft; und erst im nachhinein
sieht man gegebenenfalls ein, daß diese Leute ihre Macht
falsch einsetzen. Dabei bedeutet amnat doch eher das Gegenteil
von Gerechtigkeit.
Es gibt in der thailändischen Gesellschaft einen großen
Haß auf korrupte Politiker. Doch man träumt davon,
daß irgendwann einmal ein starker, mit Macht (amnat)
ausgestatteter Mann mit dem politischen Unwesen aufräumt.
Wenn wir dem 6. Oktober wirklich auf den Grund gehen wollen,
müssen wir feststellen, daß niemand saubere Westen
trägt. Ferner ist die thailändische Gesellschaft
an die Indoktrination gewöhnt, sie bilde eine Einheit.
Die Einheit des Landes ist jedoch erst etwa einhundert Jahre
alt, wird aber heruntergebetet wie ein Mantra. Konflikte werden
verschwiegen und auf eine unverantwortliche Weise beiseite
geschoben, was letztendlich einem Selbstbetrug gleichkommt.
Die letzte Konsequenz, die Opfer des 6. Oktober und ihre Angehörigen
alleine zu lassen, ist menschenverachtend. Und daß Thaksin
(der heutige Premierminister) meint, diese bildeten nur eine
kleine Minderheit, ist blanker Zynismus; denn meistens sind
ja Minderheiten die Opfer. Selbst am 14. Oktober war es doch
lediglich eine Minderheit, die auf die Straße ging.
Und Prabhas Charusathian, einer der drei Tyrannen jener Jahre,
meinte in der Rückschau, man müsse "die Sache
mit den zwei bis drei Prozent der Studenten regeln".
Regeln heißt, wie wir gehört haben, eliminieren.
Das beweist, daß die thailändische Gesellschaft
es nicht gelernt hat, mit anders Denkenden umzugehen. Sie
hat bislang nicht gelernt, Geschichte aufzuarbeiten und daraus
Lehren zu ziehen. Sie hat ferner nicht gelernt, die Schicksale
Einzelner als Schicksale der Nation zu sehen und daraus Kraft
zu schöpfen.
Abschließend möchte ich mich dafür entschuldigen,
daß ich als Botschafter schlechter Nachrichten hier
war. Die Konflikte in der thailändischen Gesellschaft
bestehen auch heute noch fort, sei es in Form von Konflikten
um natürliche Ressourcen; radikale Gewaltausbrüche
flackern immer wieder auf. Ohne die Ereignisse vom 6. Oktober
aufzuarbeiten, sich damit auseinander zu setzen, kann ein
erneuter Vorfall dieser Art jederzeit erneut auftreten. Das
Wichtigste ist, daß wir lernen, uns nicht selbst zu
belügen, daß wir erkennen, daß jeder Mensch
auch das Böse in sich trägt und dabei gleichzeitig
lernen, das Böse nicht ausbrechen zu lassen.
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Der Vortrag
Die komplette Rede in thailändischer Sprache
steht als MP3-Datei zum Download zur Verfügung. (5,6
MByte).
Eine zweite Version incl. deutscher Übersetzung
gibt es ebenfalls (14,7
MByte)
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F: Welche Hoffnungen geben
Sie den hier anwesenden jungen Thai?
A: In meiner Generation gibt
es viele, die sehr pessimistisch bezüglich der heutigen
Generation der Jugend und Studenten sind. Sie glauben, daß
die heutige Jugend nur ihren Spaß haben möchte
und sich für ihre Computer interessieren, während
sie dem politischen Geschehen eher Desinteresse entgegen bringen.
Ich persönlich bin da anderer Auffassung. Ich glaube,
daß jede Generation die Chance und das Potential hat,
auftretende Probleme zu lösen.
F: Wie haben damals der König
und die Oberen der Buddhisten, denen der meiste Respekt entgegen
gebracht wird, zu den Ereignissen Stellung in den Medien bezogen?
A: Von den 200 Radiostationen,
die es in der Zeit gab, waren nur zehn frei in der Berichterstattung,
die restlichen wurden durch das Militär zensiert. Fernsehen
sollte seinem Auftrag nach unpolitisch sein. Zum Ereignis
am 6. Oktober 1976 ist ein einziger Sender, Kanal 9, vor Ort
gegangen und hat das Geschehen dokumentiert. Sein Intendant
wurde sofort entlassen. Was die Führer der Buddhisten
angeht, war es doch so, daß der ehemalige Diktator Thanom,
der seine Zeremonie noch nicht abgeschlossen hatte, als er
1973 das Land verlassen mußte, zurückkam und direkt
vom Flughafen in das Wat Bowonniwet verbracht wurde, um dort
seine Zeremonie zu Ende zu bringen. Wat Bowonniwet gilt als
Wat (Tempel) der königlichen Familie, und der damalige
Abt des Wat ist der heutige Sangkharat, der Oberste Patriarch
des buddhistischen Mönchsordens (sangha). Ziehen sie
selbst die Schlußfolgerung aus dieser Tatsache!
F: Wie sollte man Ihrer Auffassung
nach die Erinnerung organisieren, welche Medien des Gedenkens
und Erinnerns schlagen Sie vor?
A: Wir können eine Menge
tun. Auf einer breiten sozialen Ebene haben wir seit 1996
ein Monument des Gedenkens, das einen Durchbruch im Verarbeiten
der Geschehnisse darstellt. Wir sprechen über die Dinge
ohne allerdings zu sagen, wo die Verantwortlichkeiten liegen.
Teilweise wissen wir es nicht, teilweise können wir nicht
darüber sprechen, weil die Geschehnisse unaussprechbar
sind. Wir dürfen darüber sprechen, aber wir sollen
es nicht. Beispielsweise sollten Sie eine Frage wie die Ihre
nicht in der Öffentlichkeit Thailands stellen. Auf der
anderen Seite haben wir einen Anfang gemacht und die Aktionen
der letzten vier bis fünf Jahre, so unterschiedlich sie
auch beurteilt werden können, zeigen, daß wir auf
dem richtigen Weg sind. Menschen meiner Generation sehen darin
insgeheim, daß sich die thailändische Gesellschaft
ändert. Sie ist jetzt offen genug, um auf unterschiedlichen
Ebenen das Geschehen aufzuarbeiten. So haben wir das Monument
zum Gedenken an den Oktober 1973, das verhindert, daß
wir vergessen. Wir haben das Monument zum Gedenken an den
Oktober 1976 auf dem Gelände der Thammasat-Universität,
auch wenn es derzeit keine Möglichkeit gibt, ein solches
Monument außerhalb Thammasat zu haben. Die Universität
erklärte sich bereit, uns einen Platz für ein solches
Monument zu geben, und wir haben uns gesagt, wir machen es
so groß, daß man es einfach nicht übersehen
kann.
F: Was wird Ihrer Meinung nach
passieren, wenn der König, der durch seine starke Persönlichkeit
das ganze Staatsgebilde doch einigermaßen zusammen hält,
nicht mehr da sein wird?
A: Darüber möchte
ich nicht spekulieren. Aber ich bin optimistisch und glaube,
daß jede Gesellschaft in der Lage ist, auf anstehende
Probleme zu reagieren. Voraussetzung dafür ist jedoch,
daß sie akzeptiert, daß sie nur eine normale Gesellschaft
ist mit internen Konflikten und Auseinandersetzungen, guten
und schlechten Seiten, und daß sie lernt, aus eigener
Kraft damit fertig zu werden. Und statt alle Hoffnungen auf
eine einzelne Person, einen neuen, einen starken König
zu setzen, sollte ein jeder sich darüber im Klaren sein,
daß er damit nur seine eigene Verantwortung auf einen
anderen abschiebt.
F: Wie konnte es bei den Bürgermeister-Wahlen
(23. Juli 2000) in Bangkok dazu kommen, daß mit Samak
Sundaravej ein Mann zum Gouverneur gewählt wurde, der
beschuldigt wird, bei den Geschehnissen des 6. Oktober für
die Massenhetze gegen die Studenten verantwortlich gewesen
zu sein? Welche Rolle hat er wirklich gespielt?
A: Mit Sicherheit kann ich
sagen, daß Gouverneur Samak nicht bei dem Massaker am
6. Oktober dabei war. Aber es ist so, daß er zum ultra-rechten
Flügel gehörte und die Studenten förmlich haßte.
Er war auch bei denjenigen, die nach dem 6. Oktober die Studenten
verfolgten und die die Geschehnisse falsch darzustellen versuchten.
Durch seine Haßkampagnen hat er mit dazu beigetragen,
Dr. Puey aus dem Land zu vertreiben. Im Vorfeld der Wahlen
kam es nach einem Aufbegehren und Unmut hinsichtlich dieser
Rolle zu Diskussionen, die letztendlich mit der Frage, was
denn diese 25 Jahre zurückliegenden Geschehnisse überhaupt
mit der Kandidatur zum Gouverneur von Bangkok zu tun hätten,
zum Verstummen gebracht worden sind.
F: Woran liegt es, daß
es in den letzten Jahren so ruhig geworden ist um die Thammasat-Universität?
A: Jede Generation hat ihre
eigenen Wesenszüge. Den jetzigen Studenten vorzuwerfen,
nicht mehr politisch aktiv zu sein, wäre falsch. Es gibt
sowohl negative wie auch positive Aspekte, so daß ich
überhaupt keine Probleme damit habe, daß es zur
Zeit keine Studentenbewegung gibt.
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Diskussion
Auch die Diskussion kann incl. der deutschen
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